Banale Frage! Dachte ich. Kürzlich bei einer Diskussion zum Thema reichten die Reaktionen von „ja klar!“ bis hin zu „auf keinen Fall!“. Also Anlass ein paar Gedanken zu sortieren.
Bei unseren Vierbeinern ist es einfach – einen Hund muss man nicht zum Jagen tragen – „commitment“ ist sein natürlicher Zustand, wenn es darum geht, eine Katze zu jagen. Er wird auch nicht unterwegs nach einer Entschuldigung Ausschau halten für den Fall, dass er die Katze nicht erwischt. Wenn ein echtes Team sich ein Ziel selbst gesteckt hat, ist der natürliche Zustand, dass alle Mitglieder des Teams das Ziel mit aller Kraft erreichen wollen, sofern nicht irgendwelche Rahmenbedingungen dagegensprechen. Menschen haben einen natürlichen Drang an etwas Bedeutsamen teilzuhaben, das über ihre eigenen Interessen hinaus geht. Da Scrum Teams sich aber im Unterschied zu unseren Vierbeinern in einem komplexen sozialen Umfeld mit vielen Abhängigkeiten und kulturellen Parametern bewegen, rentiert es sich hier einmal näher hinzusehen und den Scrum Guide dazu zu beleuchten.
Laut Scrum Guide ist es klar: „commitment“ ist einer der fünf Werte, und bezüglich der Ziele des Scrum Teams heißt es wörtlich:
“People personally commit to achieving the goals of the Scrum Team. The Scrum Team members have courage to do the right thing and work on tough problems. Everyone focuses on the work of the Sprint and the goals of the Scrum-Team.“
Also laut Scrum Guide ein eindeutiges „Ja“, da ein Sprint Goal ganz sicher zu den Zielen des Scrum Teams gehört. Interessant ist: der Scrum Guide beschränkt das nicht nur auf das Sprint Goal, andere Ziele des Scrum Teams sind ebenso gemeint, z.B. die Entwicklung des Teams, um nur eines zu nennen. Aber das nur nebenbei.
– Wie ist nun aber „commitment“ zu interpretieren? –
– Warum lehnen manche das lieber ab? –
Je nach Unternehmen ist der Begriff „commitment“ unterschiedlich geprägt. Diese Prägung entsteht durch die vorherrschenden Denkweisen und Organisationsstrukturen. Das jeweilige Verständnis hängt dabei von vielen Faktoren ab, ob beispielsweise eine Vertrauenskultur herrscht, oder nicht. Ob die Mitarbeitergehälter von Zielerreichung abhängen oder nicht. Und vieles mehr…
– Wie die harte Tour gespielt wird… –
„Bei einem Frühstück mit Ei und Speck, sind die Schweine „committed“, die Hühner nur beteiligt (involved)“. Die Entwickler sind in diesem Fall die „armen Schweine“, denen echte Konsequenzen drohen. Die „Hühner“, also alle anderen Beteiligten, sind einigermaßen fein raus. Nicht besonders respektvoll würde ich sagen und damit auch nicht agil. Eine Sichtweise, welche vermutlich nicht den offenen Umgang mit Fehlern, Lernen, Vertrauen, Selbstverantwortung und Selbstorganisation fördern wird. Früher war diese Metapher im Scrum Guide enthalten, um den unbedingten Willen zur Zielerreichung zu unterstreichen, wurde aber bewusst aus dem Scrum Guide entfernt, da sie eben zu solchen Missverständnissen geführt hat.
– Wie anders? –
Die Wortwahl und kleine Details, welche im Scrum Guide leicht übersehen werden, geben über den zugrunde liegenden Geist, das Menschenbild und die Führungsphilosophie Aufschluss. Im Scrum Guide wird nicht vom Teammitglied oder Team gesprochen, sondern von „people“ und „everyone“. Nicht nur der einzelne Entwickler, nicht nur das Entwicklerteam ist angesprochen, nicht einmal beim Scrum-Team wird hier Halt gemacht, sondern es geht um alle, die irgendwie ein Interesse am Ergebnis haben, einschließlich aller sonstigen Stakeholder wie Management und Kunden. Das heißt, es geht um das gemeinsame Wirken an einem Ziel, bei dem jeder seine Verantwortung erkennt und lebt. Dies eröffnet einen deutlich größeren Horizont. Jeder Beteiligte ist „committed“, unterstützt nach besten Kräften und trägt seinen Teil bei.
Der zweite Aspekt wird in der deutschen Übersetzung des Scrum Guides deutlich. Hier wird „commitment“ mit „Selbst-Verpflichtung“ übersetzt. Das Entwickler-Team wird also nicht von außen „ver-pflichtet“ sondern folgt der eigenen Verpflichtung, das gemeinschaftlich gesteckte bzw. verhandelte Sprint Goal zu erreichen. Das wiederum ist eine wichtige Grundlage für die Selbstorganisation und kontinuierliche Verbesserung.
– Booster für Effektivität und Spaß: „commitment“ im Wandel … –
In einer agilen Transformation müssen, je nach bestehender Unternehmenskultur, selbst Begriffe wie „commitment“ einen Wandel erfahren. Falsch verstanden, kann das großen Schaden für das agile Mindset bedeuten. Dann versucht jeder möglichst nicht die Deckung zu verlieren, auf Fragen wie z.B. „wie gerate ich möglichst nicht in eine Schusslinie“ wird viel Zeit und Energie verschwendet. Solche Fragen werden keine Relevanz haben, wenn aus dem „Du“ ein „Wir“ wird, wenn alle ihr Bestes geben (Product Owner, Entwickler-Team und alle irgendwie am Resultat interessierten), für das Sprint Goal zusammenwirken, weg von einem in Stein gemeißelten „Vertrag“. Und es eröffnet sich die Möglichkeit zu lernen, sich zu entwickeln, als Einzelner, als Team, als Organisation. Und das Beste: das bringt auch noch Spaß!
—- © Henrik Ginzkey 2020 —-
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